03 Jan Verfall und Verjährung von Urlaub bei längerer Arbeitsunfähigkeit
Über zwei Folgeentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zum Bestand von Urlaubsansprüchen und die Folgen der Urteile für die betriebliche Praxis informiert der Arbeitgeberverband Osthessen e.V.. Da die Entscheidungen nach Auffassung des AGV-Geschäftsführers Manfred Baumann eine erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis haben, stellt der Fachmann die beiden gerichtlichen Entscheidungen genauer dar:
1. Verfall von Urlaubsansprüchen bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit und unterlassenem Hinweis
Das BAG hat am 20. Dezember 2022 zur Frage des Verfalls von Urlaub bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit entschieden, dass dieser nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitgeber zuvor seinen Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist (BAG v. 20. Dezember 2022 – 9 AZR 145/17, Pressemitteilung 47/22)
Sachverhalt
Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger ist bei der beklagten Flughafengesellschaft als Frachtfahrer im Geschäftsbereich Bodenverkehrsdienste beschäftigt. In der Zeit vom 1. Dezember 2014 bis mindestens August 2019 konnte er wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen und deshalb seinen Urlaub nicht nehmen. Mit seiner Klage hat er u.a. geltend gemacht, ihm stehe noch Resturlaub aus dem Jahr 2014 zu. Dieser sei nicht verfallen, weil die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers, die wegen streitiger Urlaubsansprüche aus weiteren Jahren aus prozessualen Gründen zurückzuweisen war, hatte hinsichtlich des Resturlaubs aus dem Jahr 2014 überwiegend Erfolg. Entgegen der Auffassung der Beklagten verfiel der im Jahr 2014 nicht genommene Urlaub des Klägers nicht allein aus gesundheitlichen Gründen.
Entscheidungsgründe
Nach Auffassung des BAG erlöschen Urlaubsansprüche grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung sog. Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Besonderheiten bestehen, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnte.
Nach bisheriger Senatsrechtsprechung gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche in einem solchen Fall – bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit – ohne weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter („15-Monatsfrist“). Diese Rechtsprechung hat der Senat in Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aufgrund der Vorabentscheidung vom 22. September 2022 (- C-518/20 und C-727/20 – [Fraport]), um die ihn der Senat durch Beschluss vom 7. Juli 2020 (- 9 AZR 401/19 (A) -) ersucht hat, weiterentwickelt.
Danach verfällt weiterhin der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.
Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer – wie vorliegend der Kläger – im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. In dieser Fallkonstellation setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage zu versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.
Der für das Jahr 2014 im Umfang von 24 Arbeitstagen noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch konnte danach nicht allein deshalb mit Ablauf des 31. März 2016 erlöschen, weil der Kläger nach Eintritt seiner vollen Erwerbsminderung mindestens bis August 2019 aus gesundheitlichen Gründen außerstande war, seinen Urlaub anzutreten. Der Resturlaub blieb ihm für dieses Jahr vielmehr erhalten, weil die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten bis zum 1. Dezember 2014 nicht nachgekommen ist, obwohl ihr dies möglich war.
2. Verjährung von Urlaubsansprüchen bei unterlassendem Hinweis des Arbeitgebers
Das BAG hat ebenfalls am 20. Dezember 2022 entschieden, dass der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub zwar der gesetzlichen Verjährung unterliegt. Allerdings beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Demzufolge verjähren Urlaubsansprüche nicht, wenn der Arbeitgeber zuvor seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen ist. (BAG v. 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20, Pressemitteilung 48/22).
Sachverhalt
Der Beklagte beschäftigte die Klägerin vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte an die Klägerin zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 Euro brutto. Der weiter-gehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam der Beklagte nicht nach.
Während das Arbeitsgericht die am 6. Februar 2018 eingereichte Klage – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – abgewiesen hat, sprach das Landesarbeitsgericht der Klägerin 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu. Dabei erachtete das Landesarbeitsgericht den Einwand des Beklagten, die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt, für nicht durchgreifend. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Vorschriften über die Verjährung (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB) finden zwar auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Das BAG setzt damit die Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 22. September 2022 (C-120/21) um. Nach der Rechtsprechung des EuGH tritt der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit darf nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis beruft, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber kann die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachholt.
Der Beklagte hat die Klägerin nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche verfallen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) noch konnte der Beklagte mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs hat die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben.
Bewertung I Folgen der Entscheidungen
Das BAG hatte in beiden Rechtssachen dem EuGH Vorlagefragen zur Geltung und Bedeutung des Urlaubsrechts gestellt. Der EuGH hatte die Entscheidungsgründe im Wesentlichen vorgezeichnet.
Hinsichtlich der Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers bei langandauernden Erkrankungen hat das BAG – soweit sich dies aus der Pressemitteilung erkennen lässt – zu Recht den Schluss gezogen, dass keine Hinweispflicht des Arbeitgebers gegeben ist, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig ist. Im Jahr des Eintritts der Erkrankung muss hingegen ein entsprechender Hinweis erfolgen. In diesem Fall verfällt der Urlaub 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, in dem der Arbeitnehmer erkrankt ist. Insofern ist positiv zu bewerten, dass das BAG damit grundsätzlich an der 15-Monatsfrist bei Langzeiterkrankungen festhält. Nach Rückkehr des Arbeitnehmers sollte dieser auf noch nicht verfallenen Urlaub hingewiesen werden.
Abschließend verdeutlicht Manfred Baumann: „Hinsichtlich der Entscheidung zur Verjährung schließen wir aus der Pressemittelung, dass die Einrede der Verjährung gegenüber Urlaubsansprüchen dann möglich bleibt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf die Pflicht zur Urlaubsnahme hinweist. Die Bedeutung der Verjährungseinrede dürfte in diesen Fällen allerdings gering bleiben, weil im Fall des Hinweises der Urlaub spätestens nach Ablauf des ersten Quartals des Folgejahres verfällt und diese Einwendung vom Arbeitgeber geltend gemacht werden kann.“
Und weiter heißt es: „Beide Entscheidungen unterstreichen die Bedeutung des Hinweises auf die Urlaubsnahme nachdrücklich. Diese vom EuGH erfundene Hinweispflicht halten wir auch weiterhin für höchst fragwürdig, aufgrund ihrer Bedeutung sollte sie allerdings auch künftig in der personalpolitischen Praxis unbedingt beachtet werden.
Aus dem letzten Satz der Pressemitteilung des BAG ist zu folgern, dass für die Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs der Lauf der Verjährung nicht von einem entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers abhängt.“
Geprüft werde derzeit, ob und inwieweit die arbeitgeberseitigen Unterrichtungsschreiben an die Beschäftigten zur Erfüllung der Mitwirkungspflichten an die neue Rechtsprechung angepasst werden müssen.