10 Nov. Nichtbestellung eines Inklusionsbeauftragten kann Benachteiligung begründen
Wie der Arbeitgeberverband Osthessen e.V. mitteilt, kommt es in der betrieblichen Praxis weiterhin immer wieder zu Entschädigungsklagen von abgelehnten Stellenbewerbern wegen angeblicher Diskriminierung im Bewerbungs- und Auswahlprozess oder von Mitarbeitern wegen angeblicher Diskriminierung im betrieblichen Alltag.
Dazu weist der AGV-Geschäftsführer Manfred Baumann auf eine jetzt veröffentlichte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hin. Danach kann die Nichtbestellung eines Inklusionsbeauftragten bereits die Benachteiligung eines schwerbehinderten Menschen wegen seiner Behinderung indizieren.
Der Jurist führt weiter aus: „Die schwerbehinderte Klägerin ist bei der Beklagten als Packerin in Dauernachtschicht beschäftigt und wurde zudem zur Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen gewählt. Einen Inklusionsbeauftragten hatte die Beklagte nicht bestellt.
Die Klägerin behauptet, in insgesamt sieben Fällen durch die Beklagte wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt worden zu sein. Unter anderem stelle die unterbliebene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten nach § 181 SGB IX bereits für sich betrachtet eine Benachteiligung dar. Dies führe nämlich dazu, dass verschiedene Handlungen ihr gegenüber wie etwa die Aussprache zweier Abmahnungen nicht erfolgt wären, wenn diese zuvor mit einem Inklusionsbeauftragten erörtert worden wären. “
Verstärkend für die erfolgten Benachteiligungen wirke zudem, dass die Klägerin angewiesen worden sei, die von ihren erbrachten Tätigkeiten täglich zu dokumentieren und ihre Diskriminierungsvorwürfe zu konkretisieren. Auch habe sie ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Die Beklagte habe sich ferner in Bezug auf die Tätigkeit der Klägerin als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen geweigert, sie in einer Nachtschicht für die Ausübung ihres Amts freizustellen, sie an einer Schulung teilnehmen zu lassen und ihr Zugang zum Raum des Betriebsrats zu gewähren. Die Beklagte bestreitet, die Klägerin wegen ihrer Behinderung benachteiligt zu haben. Manfred Baumann weiter: „Das LAG Nürnberg hat die Klage auf Entschädigungsanspruch abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin hatte Erfolg. Da der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht selbst entscheiden könne, ob und ggf. in welcher Höhe Ansprüche auf Entschädigung bestehen, unterlag das Berufungsurteil der Aufhebung und Zurückverweisung .“
- Entscheidungsgründe des BAG-Urteils
Zwar habe die Klägerin die zu wahrenden materiell-rechtlichen Ausschlussfristen nicht in Bezug auf sämtliche behauptete Benachteiligungen eingehalten. Auch erfahre die Klägerin durch die unterbliebene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten noch nicht unabhängig von konkreten sie betreffenden Maßnahmen eine weniger günstige Behandlung als sie eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Die Klägerin könnte jedoch durch die beiden Abmahnungen wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt worden sein, da ein Verstoß vorliegen könnte. Danach habe der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören.
„Ist die rechtliche und tatsächliche Stellung eines schwerbehinderten Menschen betroffen, sodass die Schwerbehindertenvertretung aus ihrer fachlichen Sicht sinnvoll auf mögliche behindertenspezifische Auswirkungen der Entscheidung hinweisen könnte, bestehe regelmäßig ein Beteiligungsrecht. Die unterbliebene Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Abmahnungen könnte daher ein Indiz für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Schwerbehinderung und den Benachteiligungen der Klägerin begründen. Dies setzt jedoch voraus, dass durch die Abmahnungen die spezifischen Belange der Klägerin als schwerbehinderter Mensch betroffen sind. Das wäre der Fall, wenn die Klägerin wegen der Weigerung abgemahnt worden wäre, Tätigkeiten zu verrichten, die nicht behinderungsgerecht sind.
Zudem zähle zu den Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen die Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Inklusionsbeauftragten zu bestellen, so dass deren Verletzung ein Indiz für den kausalen Zusammenhang zwischen der Schwerbehinderung und der Benachteiligung begründen kann. Für das Eingreifen der Indizwirkung sei indes der Bezug zu einer etwaigen Pflichtverletzung des Arbeitgebers erforderlich. Anderenfalls sei der zum Zweck des Schutzes der Rechte schwerbehinderter Menschen bestimmte Aufgabenkreis des Inklusionsbeauftragten nicht tangiert.
Dies könne vorliegend jedoch der Fall sein, da ein Inklusionsbeauftragter Einfluss auf die Entscheidungsfindung der Beklagten in Bezug auf die Abmahnungen genommen hätte. Ausgehend hiervon wird das LAG Nürnberg auch in Bezug auf ein mögliches Indiz durch die unterbliebene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten zu prüfen haben, ob die Klägerin mit einem Bezug zu ihrer Schwerbehinderung abgemahnt worden ist. Solche Abmahnungen und die vorausgegangenen Weisungen hätte ein Inklusionsbeauftragter möglicherweise durch Einflussnahme auf die Beklagte verhindern können.
Als Konsequenzen verdeutlicht der Jurist: „Der 8. Senat des BAG verschärft den Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer. Für die Praxis von großer Bedeutung sind die Ausführungen des Senats zum Erfordernis der Bestellung eines Inklusionsbeauftragten . Darin liegt eine gesetzliche Förderpflicht für schwerbehinderte Arbeitnehmer, deren Verletzung in Verbindung mit weiteren Maßnahmen gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer die Benachteiligung wegen seiner Behinderung indizieren kann.
In Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen ist die Schwerbehindertenvertretung persönlicher und kompetenter Ansprechpartner auf Arbeitnehmerseite. Auf Arbeitgeberseite soll diese Rolle der sogenannte Inklusionsbeauftragte (m/w/d) des Arbeitgebers übernehmen. So hat jeder Arbeitgeber mit wenigstens einem schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Mitarbeiter einen Inklusionsbeauftragten zu bestellen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verpflichtet ist und unabhängig vom Bestehen einer Schwerbehindertenvertretung. Rechtliche Sanktionen wie zum Beispiel ein Bußgeld im Falle der Nichtbestellung eines Inklusionsbeauftragten bestehen allerdings nicht.
„Bestellt werden kann grundsätzlich jeder Arbeitnehmer, außer die Vertrauensperson oder ein Betriebsrats- / Personalratsmitglied (Interessenkonflikt). Das Amt übernehmen muss aber nur, wer dazu arbeitsvertraglich verpflichtet ist. Üblicherweise werden Personalverantwortliche oder Sicherheitsingenieure damit beauftragt. Möglich ist auch die Bestellung freier Mitarbeiter. Der Arbeitgeber bestellt seinen Inklusionsbeauftragten durch einseitige Erklärung und kann ihn jederzeit ohne Angabe von Gründen abberufen. Formvorschriften bestehen insoweit nicht. Dem Gesetz nach soll der Inklusionsbeauftragte möglichst selbst schwerbehindert sein. Arbeitgeber sind aufgrund der vorliegenden Entscheidung gut beraten, ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen.“