02 Dez. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes
Wie der Arbeitgeberverband Osthessen e.V. mitteilt, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Referentenentwurf zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGGÄndG) in die Verbändebeteiligung gegeben. Schon die Ampelregierung wollte in der vergangenen Legislaturperiode einen entsprechenden Entwurf vorlegen. Dies erfolgte aber nicht mehr rechtzeitig vor Bruch der Ampel-Regierung.
Der AGV-Geschäftsführer Manfred verweist auf Details aus dem Referentenentwurf.
- Das Benachteiligungsverbot soll von öffentlichen Trägern auf private Unternehmen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehende bewegliche Güter oder Dienst- oder Werkleistungen anbieten, erweitert werden.
- Um nicht gegen das Benachteiligungsverbot zu verstoßen, sollen Unternehmen im Bedarfsfall „angemessene Vorkehrungen“ treffen müssen. Davon sind bauliche Veränderungen sowie Änderungen an Gütern und Dienstleistungen ausgenommen – sie gelten als unverhältnismäßig. Darüber hinaus richtet sich die Angemessenheit der Vorkehrungen laut Gesetzesbegründung nach Faktoren wie Unternehmensgröße, Umsatz, Art der Dienstleistung und Kosten bestimmt werden (S. 45 f.).
- Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, einschließlich algorithmische Entscheidungssysteme die Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, sollen ebenfalls unter den Benachteiligungsbegriff fallen. Eine Ausnahme soll dann bestehen, wenn die Vorschrift, die Kriterien oder das Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind .
- Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot sollen Ansprüche des benachteiligten Menschen mit Behinderung auf Beseitigung, Unterlassung der Benachteiligung sowie Entschädigung bestehen. Weitere Ansprüche sollen unberührt bleiben. Ein Schadensersatzanspruch gegen private Unternehmen ist dabei ausgeschlossen. Im Falle einer Benachteiligung nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 BGG-E (Verstoß gegen eine gesetzliche Verpflichtung) soll nur ein Feststellungsanspruch in Betracht kommen .
- Besondere Benachteiligungsverbote zu Gunsten von Menschen mit Behinderungen in anderen Rechtsvorschriften bleiben unberührt.
- Eine unterschiedliche Behandlung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung soll zulässig sein, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen einer Behinderung verhindert oder ausgeglichen werden sollen oder ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung gegeben ist.
- Im Referentenentwurf ist eine faktische Beweislastumkehr zum Nachteil der Unternehmen regelt: Danach soll eine Glaubhaftmachung der Tatsachen, die eine Benachteiligung vermuten lassen, ausreichen, damit das beklagte Unternehmen die Beweislast für die sachlichen Gründe für die Benachteiligung trägt
- Für juristische Personen des privaten Rechts sollen weitergehende Vorgaben zur Barrierefreiheit gelten und gegen diese sollen weiterhin Ansprüche auf Schadensersatz geltend gemacht werden können, wenn sie die Voraussetzungen in § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a-c BGG-E erfüllen.
- Die Aufgaben der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit werden auf die Beratung der Wirtschaft und der Verbände erweitert.
- Der Entwurf sieht eine Vertretungsbefugnis durch einen nach § 15 Abs. 3 BGG anerkannten Verband im gerichtlichen Verfahren vor.
- Der Entwurf sieht ein Schlichtungsverfahren vor, das einer Klagemöglichkeit vorgelagert sein soll. Das Verfahren ist dabei nicht obligatorisch.
- Der Referentenentwurf sieht keine neuen Berichtspflichten oder Dokumentationspflichten für die Unternehmen vor.
- Ein Inkrafttreten des Gesetzes ist nach Artikel 3 des Entwurfs am ersten Tag auf die Verkündung folgenden Quartals vorgesehen.
Der Jurist bewertet diese Vorgaben folgendermaßen: „Die geplante Verpflichtung von Unternehmen, im Einzelfall „angemessene Vorkehrungen“ zur Beseitigung von Barrieren vorzunehmen, um nicht gegen das Benachteiligungsverbot zu verstoßen, wirft Fragen hinsichtlich Rechtsklarheit und Praktikabilität auf. Besonders kritisch ist, dass Menschen mit Behinderungen auf Beseitigung oder Unterlassung der Benachteiligung klagen können und zugleich ein Anspruch auf Entschädigung geltend gemacht werden kann. Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche sind nicht notwendig, um das mit dem Gesetz verfolgte Ziel zu erreichen. In Kombination mit der vorgesehenen Prozesstandschaft und der gesteigerten Beweislast zu Lasten der Unternehmen steigt das Rechts- und Kostenrisiko deutlich .“ Auch das neue Legalbeispiel einer Benachteiligung in § 7 Abs. 3 Nr. 5 BGG-E könne aufgrund der unklaren Formulierung zu Rechtsunsicherheit führen. Unklar ist, was der Entwurf mit „dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einschließlich algorithmische Entscheidungssysteme…, die Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können“ meint. Zwar sei ein Schlichtungsverfahren vorgesehen, dieses ist jedoch nicht obligatorisch. Damit fehle eine verpflichtende außergerichtliche Konfliktlösungsmöglichkeit, die unnötige Verfahren vor den Gerichten vermeiden könnte. „Die Schätzung des jährlichen Erfüllungsaufwands für die Privatwirtschaft in Höhe von rund 1,35 Mio. € erscheint angesichts der möglichen Klageverfahren, Entschädigungsansprüche und Umsetzungsmaßnahmen als zu niedrig angesetzt. Positiv ist zu bewerten, dass keine neuen Berichts- oder Dokumentationspflichten entstehen.“