Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Wie der Arbeitgeberverband Osthessen e.V. mitteilt, hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Verfahren zu entscheiden, wie sich der sog. Annahmeverzugslohn für den Arbeitgeber im Fall einer (unwirksamen) Kündigung minimieren lässt und wann ggf. ein böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes durch den Arbeitnehmer vorliegt . Wie der AGV-Geschäftsführer erläutert, haben die Parteien über Vergütung wegen Annahmeverzugs gestritten. „Diese muss vom Arbeitgeber nicht gezahlt werden, soweit der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, eine anderweitige Beschäftigung zu suchen.“

Wie das im Einzelfall zu bewerten ist, zeigt diese Entscheidung des BAG exemplarisch auf:

Sachverhalt:

Die Beklagte kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis am 23. November 2017 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers war in zweiter Instanz erfolgreich. Ab dem 31. August 2020 setzte der Kläger seine Beschäftigung im Wege der Zwangsvollstreckung durch.

Nach Ablauf der im Fall einer außerordentlichen Kündigung obligatorischen Sperrzeit zahlte die Agentur für Arbeit dem Kläger elf Monate lang Arbeitslosengeld I. Während dieser Zeit unterbreitete sie ihm keine Stellenangebote, weil er dies ausdrücklich nicht wünschte und mitgeteilt hatte, dass er sich bewerben könne, wenn man ihn dazu zwinge. Dabei werde er potentiellen Arbeitgebern aber mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er dort unbedingt weiterarbeiten wolle. Er bemühte sich nicht um eine anderweitige Beschäftigung. (Die an dieser Stelle sicherlich auch zu diskutierende Frage, weshalb die Arbeitsagentur Arbeitslosengeld an den Kläger zahlte, obwohl er erkennbar dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand, muss hier nicht weiter diskutiert werden!). Die Beklagte übermittelte ihm keine Stellenangebote, auf die er sich hätte bewerben und zumutbaren Verdienst erzielen können. Anschließend bezog der Kläger Leistungen vom Jobcenter und ging kurzzeitig (teilweise geringfügigen) Beschäftigungen nach.

Soweit für die Revision noch von Bedeutung hat der Kläger zuletzt sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 103.200,35 Euro brutto abzgl. 17.100,51 Euro netto nebst Zinsen nach bestimmter betragsmäßiger und zeitlicher Staffelung zu zahlen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers – unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten – das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klage vollständig statt-gegeben. Mit der vom Senat nachträglich zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren, die Klage insgesamt abzuweisen, weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe des BAG-Urteils:

Die zulässige Revision der Beklagten war begründet. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs waren im streitgegenständlichen Zeitraum zwar grundsätzlich erfüllt. Aufgrund des Fortbestands des Arbeits-verhältnisses richtet sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 und Nr. 2 KSchG.

Gemäß § 11 Nr. 2 KSchG muss sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Böswilliges Unterlassen liegt vor, wenn ihm vorgeworfen werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Der Arbeitnehmer darf auch nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit angeboten wird. Eine Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich. Fahrlässiges, auch grob fahrlässiges Verhalten reicht aber nicht.

Dem Arbeitnehmer wird damit eine Pflicht zur angemessenen Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers auferlegt. Es ist anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls unter einer Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen zu beurteilen, ob Böswilligkeit vorliegt.

Dabei kann eine Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten zu berücksichtigen sein. Dem Arbeitnehmer ist regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen, wenn er sich nach einer Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend meldet. Aus § 11 Nr. 2 KSchG folgt allerdings nicht, dass er in jedem Fall auf ein zumutbares Angebot abwarten darf. Die Interessensabwägung kann im Einzelfall eine Obliegenheit für ihn begründen, ein eigenes Angebot abzugeben, wenn sich ihm eine realistische zumutbare Arbeitsmöglichkeit bietet. Aufgrund der Grundsätze von Treu und Glauben und des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG besteht jedoch keine generelle Pflicht, sich ohne weiteres unermüdlich um eine zumutbare Arbeit zu kümmern. Der Arbeitgeber kann aber geeignete Stellenangebote übermitteln, um den Arbeitnehmer aktiv zur Prüfung anderweitiger Beschäftigungsoptionen zu veranlassen.

Die anderweitige Arbeit muss zumutbar sein, was sich insb. nach der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen richtet. Ein geringerer Verdienst im Verhältnis zur bisherigen Tätigkeit genügt allein nicht für die Unzumutbarkeit. Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen muss der Arbeitnehmer allerdings grundsätzlich nicht hinnehmen. Die andere Tätigkeit darf auch nicht mit den Pflichten aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis kollidieren, weshalb beispielsweise die Aufnahme einer gegen ein Wettbewerbsverbot verstoßenden Konkurrenztätigkeit unzumutbar wäre.

Die Beweislast trägt grundsätzlich der Arbeitgeber, der mit dem Ausspruch der unwirksamen Kündigung die Ursache für den Annahmeverzug gesetzt hat. Im ersten Schritt muss er konkret darlegen, dass für den Arbeitnehmer im Verzugszeitraum Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden. In Bezug auf die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit hat er ergänzend einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer, den insoweit unter Berücksichtigung der aus § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO folgenden Pflicht, sich zu den vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären, eine sekundäre Darlegungslast trifft. Dies führt allerdings weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen.

In Sonderfällen kann eine interessengerechte Abstufung der Darlegungs- und Beweislast erforderlich sein. Hierbei sind die jeweiligen Erkenntnismöglichkeiten zu berücksichtigen und ebenso die Anknüpfungspunkte, die sozialrechtliche Pflichten für die Konkretisierung des unterlassenen anderweitigen Verdienstes bilden. Dies gilt u.a. für den Fall, dass ein Arbeitnehmer zwar der in § 38 Abs. 1 SGB III geregelten Meldepflicht nachkommt, aber zugleich durch sein Verhalten veranlasst, dass ihm die Agentur für Arbeit tatsächlich keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet. Benennt der Arbeitgeber – ggf. auch über eine nachträgliche amtliche Auskunft der Agentur für Arbeit – im Annahmeverzugsprozess über zu besetzende und zumutbare Stellen, trägt der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Bedingungsvereitelung im Weiteren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Bewerbung auf eine solche Stelle erfolglos gewesen wäre.

Als Praxishinweis verdeutlicht der Jurist:Die obige Entscheidung und das ebenfalls zu den Anforderungen an das böswillige Unterlassen ergangene BAG-Urteil geben Arbeitgebern hilfreiche Handlungsalternativen im Rahmen eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens sowie im anschließenden Annahmeverzugslohnprozess. Es empfiehlt sich, während des Kündigungsschutzprozesses regelmäßig eigeninitiativ geeignete Stellenangebote (passend zu Profil, Qualifikation und Berufserfahrung des Arbeitnehmers sowie Erreichbarkeit) über das streitbare Beendigungsdatum hinaus an den Arbeitnehmer zu schicken. Diese Vorgänge sind sorgfältig zu dokumentieren. Der Arbeitnehmer sollte auch aufgefordert werden, eigene Bewerbungsbemühungen vorzutragen und übermittelte Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit vorzulegen.