27 Mai Mögliche Problemstellung zum mobilen Arbeiten im Ausland
Foto: Tim Reckmann (CC BY 2.0)
Wie der Arbeitgeberverband Osthessen mitteilt, sei in der gesamten deutschen Wirtschaft weiterhin der Trend erkennbar, dass Arbeitgeber ihren Belegschaften anböten, vollständig oder teilweise mobil zu arbeiten. Dazu betont der AGV-Geschäftsführer Manfred Baumann: „Diese Entwicklung kann nicht nur arbeitsrechtliche, sondern auch vor allen Dingen sozialversicherungs- und steuerrechtliche Auswirkungen haben. Dieses gilt vor allem dann, wenn sich die mobile Arbeitsstätte nicht auch in dem Staat befindet, in dem die berufliche Tätigkeit ansonsten regelmäßig ausgeübt wird.“ Der Arbeitgeberverband weist daher auf etwaige Problemstellungen hin und macht in diesem Zusammenhang auf ein neues, vom Bundesarbeitsministerium herausgegebenes Merkblatt aufmerksam.
1. Sozialversicherungsrechtliche Fragestellungen im Rahmen grenzüberschreitender mobiler Arbeit
Grundsätzlich unterliegt eine Person den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen jenes Staates, in dem sie die Tätigkeit tatsächlich ausübt. Das sog. Territorialitätsprinzip (auch Beschäftigungsortprinzip) fragt also danach, wo die Tätigkeit örtlich tatsächlich (physisch) erbracht wird. Beim mobilen Arbeiten aus dem Ausland wird die Tätigkeit aber häufig nicht zwingend ausschließlich im Ausland erbracht. Vielmehr wird der Arbeitnehmer in zahlreichen Fällen über das Jahr verteilt sowohl im Ausland als auch im Inland tätig werden, sodass das Territorialitätsprinzip oft zu ungewollten Ergebnissen führen würde.
In diesen grenzüberschreitenden Fällen stellt sich also die Frage, ob der Arbeitnehmer trotz der mobilen Arbeit aus dem Ausland weiterhin in Deutschland sozialversichert bleiben kann, und ob etwaige formale Pflichten auf den Arbeitgeber zukommen (A1-Bescheinigung, Beitragsabführung etc.).
Als Grundregel gilt: Das Territorialitätsprinzip (Beschäftigungsortsprinzip) setzt sich immer dann durch, wenn nicht andere Regelungen eine explizite Ausnahme vorsehen, nach welcher der Arbeitnehmer – auch während seiner Auslandstätigkeit – ausnahmsweise weiterhin in Deutschland versicherungspflichtig ist. Ausnahmen sind je nach Einsatzstaat im EU-Recht, Abkommensrecht und/oder im nationalen Recht normiert.
Die Frage, welches Sozialversicherungsrecht beim mobilen Arbeiten aus dem Ausland Anwendung findet, beantwortet für die EU, den EWR, die Schweiz und das Vereinigte Königreich (VK) die VO (EG) Nr. 883/2004 und ihre Durchführungs-Verordnung (EG) Nr. 987/2009, konkretisiert durch Beschlüsse und Empfehlungen der europäischen Verwaltungskommission. Es finden also dieselben Vorschriften Anwendung, die auch für sonstiges Arbeiten im Ausland zu prüfen sind, allerdings ergeben sich hier – je nach Sachverhalt – neue Facetten.
2. Merkblatt des BMAS zum anwendbaren Sozialversicherungsrecht
Zu den Fragestellungen des anwendbaren Sozialversicherungsrechts hat das Bundesarbeitsministerium (BMAS) nunmehr mit Blick auf die verschiedenen praxisrelevanten Fallkonstellationen der mobilen Arbeit in der EU, dem EWR, der Schweiz oder dem VK ein Merkblatt veröffentlicht (Anlage). Die Ausführungen des BMAS entsprechen unserer bisherigen Beratung. Das BMAS führt aus, dass für den Bereich der sozialen Sicherheit die Vorgaben der Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009) Anwendung finden.
Das bedeutet im Einzelnen:
a) Arbeitet eine Person ausschließlich mobil in einem anderen EU-Mitgliedstaat, EWR-Staat, der Schweiz oder dem VK, unterliegt sie dem System der sozialen Sicherheit ihres Wohnstaates, der dann gleichzeitig Beschäftigungsstaat im Sinne des Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist (sog. Beschäftigungsorts- oder Territorialitätsprinzip).
b) Arbeitet eine Person regelmäßig, aber nicht ausschließlich mobil in einem anderen EU Mitgliedstaat, EWR-Staat, der Schweiz oder dem VK und ansonsten vor Ort beim Arbeit-geber (beispielsweise im Betrieb in NRW), kann sie gemäß Art. 13 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 als Person, die ihre Beschäftigung gewöhnlich in zwei Mitgliedstaaten ausübt, angesehen werden. Das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestimmt sich dann gemäß den Vorgaben der Verordnung nach dem Anteil der mobilen Arbeit im Ausland. Liegt der Anteil der Arbeit des mobilen Arbeitens im Wohnmitgliedstaat über 25 %, unterfällt die Tätigkeit insgesamt dem Recht des Wohnmitgliedstaats. Liegt der Anteil der Arbeit des mobilen Arbeitens unter 25 %, unterfällt die Tätigkeit insgesamt dem Recht der sozialen Sicherheit des Staates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
c) Arbeitet eine Person ausnahmsweise für einen begrenzten Zeitraum ausschließlich mobil in einem anderen EU-Mitgliedstaat, EWR-Staat, der Schweiz oder dem VK (von zu Hause oder einem anderen Ort wie etwa Ferienhaus) für den Arbeitgeber und ansonsten vor Ort beim Arbeitgeber (etwa im Betrieb in NRW), kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Entsendung der betreffenden Person im sozialversicherungsrechtlichem Sinne gemäß Art. 12 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vorliegen. Dann ist weiter das Recht der sozialen Sicherheit des eigentlichen Beschäftigungsstaates anwendbar.
3. Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes
Der GKV-Spitzenverband, namentlich die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA), weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach ihrer Auffassung bei einer vorübergehenden Auslandstätigkeit, welche auf Initiative des Arbeitnehmers innerhalb der EU, des EWR, der Schweiz und des VK erfolgt, eine Entsendung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne aufgrund der Eigeninitiative des Arbeitnehmers nur dann vorliegt, wenn
a) der Arbeitgeber mit der vorübergehenden Auslandstätigkeit einverstanden ist,
b) er die von seinem Arbeitnehmer erbrachte Leistung entgegennimmt und
c) er sie durch Fortzahlung des vereinbarten Gehalts vergütet.
Ist aber das Ausweichen auf das mobile Arbeiten aufgrund der aktuellen Situation pandemiebedingt, greift das Prinzip der höheren Gewalt. Ändert sich also allein dadurch der Ort der Beschäftigung, dass der Arbeitnehmer im Sinne des Infektionsschutzes und -eindämmung nicht aus dem Büro des Arbeitgebers seiner Tätigkeit nachgeht, hat dies keine Auswirkungen auf das anzuwendende Recht der sozialen Sicherheit. Nach derzeitigem Stand soll diese Handhabung bis Ende Juni 2022 beibehalten werden.
Die zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten können im Interesse einer betroffenen Person darüber hinaus Ausnahmen von diesen Regelungen vereinbaren (mit Ausnahme des VK).
Abschließend weist das BMAS in dem Merkblatt darauf hin, dass sich die Verwaltungskommission zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit voraussichtlich im Juni dieses Jahres genauer mit diesen Fragen beschäftigen wird.
4. Hinweis:
Die Frage, welches Sozialversicherungsrecht in einer konkreten Fallkonstellation Anwendung findet, ist nicht parteidispositiv, also nicht als solches durch die Vertragsparteien frei wählbar. Vielmehr ergibt sich das anwendbare Sozialversicherungsrecht aus einer Bewertung der arbeitsvertraglichen Gestaltung; damit bietet die Wahl eines arbeitsvertraglichen Modells einen gewissen Spielraum. Entspricht die vertragliche Gestaltung aber nicht den Umständen, nach denen das Vertragsverhältnis tatsächlich „gelebt“ wird, beurteilt sich das Sozialversicherungsrecht vorrangig nach der tatsächlichen Durchführung in der Praxis.
Abschließend bewertet AGV-Geschäftsführer die vorangegangenen Ausführungen: „Die Corona-Pandemie hat den bereits bestehenden Trend zur Flexibilisierung bei der Wahl des Beschäftigungsortes verstärkt. Dies stellt den bisher geltenden rechtlichen Rahmen zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme vor neue Herausforderungen. Es ist begrüßenswert, dass das BMAS mit diesem Merkblatt nun eine Orientierung für grundlegende Fragen gibt. Zusätzliche Festlegungen der Verwaltungskommission können in Zukunft weitere, europaweite Hilfestellung geben. Als langfristige Lösung sollte aber im Zuge der nach wie vor laufenden Revision der Verordnung (EG) 883/2004 und Durchführungsverordnung (EG) 987/2009 eine angemessene Koordinierungsregel für das grenzüberschreitende mobile Arbeiten geschaffen werden. So kann es gelingen, Rechtssicherheit für beide Seiten herzustellen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wird sich nach unserer Kenntnis sowohl auf Bundesebene als auch auf Europäischer Ebene dafür einsetzen, dass auch außerhalb der Sondersituation der Pandemie-Bekämpfung ein flexibler Umgang mit grenzüberschreitendem mobilem Arbeiten aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht möglich bleibt.“