EU-Lieferkettenrichtlinie – Inhalte, Synopse, Forderung nach Aussetzung des LkSG

Über den aktuellen Stand der EU-Lieferkettenrichtlinie informiert ausführlich der Arbeitgeberverband Osthessen e.V. und dazu verdeutlicht der AGV-Geschäftsführer Manfred Baumann: „Das Europäische Parlament (EP) hat in der Plenarabstimmung am 24. April 2024 die angepasste Trilogeinigung zur EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) mit 374 gegen 235 Stimmen bei 19 Enthaltungen angenommen. “ Danach enthält der finale Richtlinientext insgesamt neun Kernelemente, die nachfolgend eingehend dargestellt werden. Grundsätzlich sind dies Anwendungsbereich, Umfang, Sorgfaltspflichten, Beteiligung von Interessensgruppen, Hinweisgeber- und Beschwerdeprozesse, Klimaplan, Vergütung und Berichtspflichten, Sanktionen, Harmonisierung und Haftung. In einer Bewertung schlägt Manfred Baumann auch kritische Töne an: „ Trotz richtiger Änderungen mit Verbesserungen im Vergleich zum ursprünglichen Trilogergebnis bleibt die Richtlinie hochproblematisch und birgt das große Risiko, die Wirtschaft bürokratisch zu überfordern. Sie schafft keinen Mehrwert für Menschenrechte und Umwelt. Wegen der schwelenden Rechtsunsicherheit droht ein Rückzug von europäischen Unternehmen aus gewissen Wertschöpfungsketten, die von außereuropäischen Konkurrenten mit geringeren Standards ausgefüllt werden könnten. Zu kritisieren ist auch der Prozess der Gesetzgebung: Fern des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens und des etablierten Trilogverfahrens hat die belgische Ratspräsidentschaft intransparente Festlegungen vorgenommen; eine inhaltliche Beteiligung des EP hat es dabei nicht gegeben.“

1. Anwendungsbereich:

Nach dem Inkrafttreten der Richtlinie gibt es eine fünfjährige Übergangsphase mit gestaffelten Schwellenwerten:

  • Die erste Phase beginnt drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie und betrifft zunächst Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern und mit einem Jahresbruttoumsatz von 1,5 Mrd. Euro.
  • Die zweite Phase beginnt nach vier Jahren und betrifft dann Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern und mit einem Jahresbruttoumsatz von 900 Mio. Euro.
  • Nach fünf Jahren wird mit Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern und einem Jahresbruttoumsatz von 450 Mio. Euro der finale Anwendungsbereich erreicht.

Gesonderte Schwellenwerte für als Risikosektoren eingestufte Branchen wurden ersatzlos gestrichen.

2. Umfang:

Zentraler Begriff für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten ist die „Aktivitätenkette“ (Art. 3 g). Dabei wird zwischen den dem Unternehmen vorgelagerten und nachgelagerten Geschäftsbeziehungen unterschieden.

  • Unter den vorgelagerten Bereich fallen alle direkten und indirekten Geschäftspartner bzw. Zulieferer. Damit sind insbesondere dem Wortlaut der Richtlinie folgend die Stufen Design, Gewinnung, Beschaffung, Herstellung, Transport, Lagerung und Lieferung von Rohstoffen, Produkten oder Teilen der Produkte sowie die Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung gemeint.
  • Der nachgelagerte Bereich ist enger gefasst. Hier besteht eine Limitierung auf die direkten Geschäftsbeziehungen in den Bereichen Vertrieb, Transport und Lagerung.

Zur Konkretisierung wird der Begriff des „negativen Einflusses“ auf Menschen- oder Umweltrechte (vgl. Art. 3 b bzw. c), die Schutzgüter der Richtlinie, definiert. Diese beiden Definitionen verweisen auf den Annex, in dem 22 Menschenrechts- und 7 Umweltkonventionen aufgelistet sind.

3. Sorgfaltspflichten:

Die von den Unternehmen einzuhaltenden Sorgfaltspflichten sind eingeteilt in die Schritte der Identifizierung von Risiken für den Schutzbereich (vgl. Art. 6), der Vorbeugung gegen diese Risiken (vgl. Art. 7) und der Beendigung von tatsächlichen negativen Einflüssen auf den Schutzbereich (vgl. Art. 8). Die Risikoanalyse sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen sollen dabei im Rahmen eines risikobasierten Ansatzes (Art. 4 und 5) durchgeführt werden. Dieser Ansatz bedeutet, dass nicht sämtliche direkten und indirekten Zulieferer zu überprüfen sind. Einschränkungen zu einer vollständigen Überprüfung sind dabei einzelfallabhängig.

Bei der Identifizierung sollen Unternehmen ihre eigenen Aktivitäten, die ihrer Tochtergesellschaften und, soweit sie mit ihren Aktivitätenketten verbunden sind, die ihrer Geschäftspartner kartieren. So sollen allgemeine Bereiche ermittelt werden, in denen negative Auswirkungen am wahrscheinlichsten auftreten und am schwerwiegendsten sind (Art. 6 Abs. 1a lit. a). Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Kartierung soll dann eine eingehende Bewertung der oben genannten Aktivitäten bzw. Zulieferer in den Bereichen durchführt werden, in denen negative Auswirkungen am wahrscheinlichsten auftreten und am schwerwiegendsten sind (Art. 6 Abs. 1a lit. b).

Zur Vorbeugung der im ersten Schritt festgestellten Risiken sollen die Unternehmen geeignete Maßnahmen treffen (Art. 7 Abs. 1). Welche Maßnahmen im Einzelfall geeignet sind, entscheidet sich danach, ob die Risiken vom Unternehmen selbst, gemeinsam mit oder ausschließlich durch Geschäftspartner entlang der Aktivitätenkette verursacht wurden (Art. 7 Abs. 1 a und b). Ebenfalls ist ausschlaggebend, welche Möglichkeiten der Einwirkung dem Unternehmen zur Verfügung stehen (Art. 7 Abs. 1 c).

Auch für die Beendigung von im ersten Schritt festgestellten negativen Auswirkungen auf den Schutzbereich sollen die Unternehmen geeignete Maßnahmen treffen (Art. 8 Abs. 1). Erneut sind dabei die Verursachung (allein, gemeinsam oder durch Dritte) sowie die Möglichkeiten der Einflussnahme von entscheidender Bedeutung (Art. 8 Abs. 1 a, b und c).

Sofern eine Vielzahl von tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen vorliegt, die dazu führt, dass ein Unternehmen diesen nicht gleichzeitig und im vollen Umfang begegnen kann, so soll eine Priorisierung möglich sein (Art. 6a). Bei der Setzung der Prioritäten sind dann Schwere und Wahrscheinlichkeit der nachteiligen Auswirkungen maßgebend. Ein vollständiger Ausschluss von negativen Auswirkungen soll dadurch jedoch nicht möglich sein.

4. Beteiligung von Interessengruppen:

In Art. 8d der Richtlinie wird festgelegt, dass die Unternehmen innerhalb ihrer Sorgfaltspflichtenprozesse eine wirksame Einbindung der Interessengruppen vornehmen („stakeholder engagement“). Dabei sollen den einschlägigen Interessengruppen umfassende Informationen zur Verfügung gestellt werden. Die Konsultation der Interessengruppen ist dabei in den verschiedenen Phasen der Sorgfaltspflichtenprüfung vorgeschrieben:

  • Sammlung der erforderlichen Informationen (vgl. Art. 6);
  • Ausarbeitung von Plänen für Präventions- und Abhilfemaßnahmen (vgl. Art. 7 und 8);
  • Entscheidung über die Beendigung oder Aussetzung einer Geschäftsbeziehung (vgl. Art. 7 Abs. 5 und Art. 8 Abs. 6);
  • Verabschiedung geeigneter Maßnahmen zur Behebung nachteiliger Auswirkungen (vgl. Art. 8 Abs. 6);
  • Entwicklung qualitativer und quantitativer Indikatoren für die Überwachung/Weiterentwicklung der eigenen Sorgfaltspflichtenprozesse (vgl. Art. 10).
  • Die Beteiligung von Interessengruppen soll für Unternehmen auch durch die Beteiligung an Branchen- oder Multi-Stakeholder-Initiativen erfüllt werden können (Art. 8 Abs. 5)

5. Hinweisgeber- und Beschwerdeprozesse:

Unternehmen, die unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, sollen eine eigene Stelle und ein eigenes Verfahren für Beschwerden und Hinweisgeber unterhalten (Art. 9). Hierfür werden diverse Rahmenbedingungen durch die Richtlinie vorgegeben. Neben den geschädigten Personen und ihren Repräsentanten, sollen an diesen Stellen auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Vertreter von Menschenrechts- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften berechtigt sein

6. Klimaplan, Vergütung und Berichtspflichten:

In Art. 15 werden die betroffenen Unternehmen aufgefordert, einen Klimatransitionsplan aufzustellen und ihr Geschäftsmodell und ihre Aktivitäten an bestimmten Klimaschutzzielen (darunter das 1,5 °C-Ziel) auszurichten. Dieser Transitionsplan soll dann jährlich aktualisiert werden. In Bezug auf seine Ziele gilt eine Bemühenspflicht.

Die Richtlinie enthält keine Vorgaben zur Orientierung der variableren Vergütung der Unternehmensleitung an diesem Klimatransitionsplan („directors duties“).

Sämtliche Berichtspflichten über die Aktivitäten des Unternehmens wurden ersatzlos gestrichen. Berichtspflichten bestehen für die betroffenen Unternehmen ausschließlich im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie (CSRD).

7. Sanktionen:

Die Mitgliedstaaten sollen ein Sanktionsregime für die Verletzung von Pflichten aus dieser Richtlinie aufstellen (Art. 20). Für Geldstrafen gibt es keinen einheitlichen Rahmen, sie sollen sich aber am weltweiten Nettoumsatz des Unternehmens orientieren. Dabei gibt es nur eine konkrete Vorgabe: Die Untergrenze für eine vorgesehene Maximalsanktion soll nicht unter 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes liegen. Innerhalb von Unternehmensgruppen ist dafür der Gesamtumsatz zu Grunde zulegen.

8. Harmonisierung:

In Art. 3a werden Vorgaben zur Harmonisierung im Rahmen der einzelnen nationalen Umsetzungs-gesetze zu dieser Richtlinie festgelegt. Die Mitgliedstaaten sind dabei grundsätzlich frei, über die Vorgaben in dieser Richtlinie hinauszugehen. Ausgenommen davon sind nur die absoluten Kernbereiche der Richtlinie in Bezug auf die tatsächlichen Sorgfaltspflichten für Unternehmen. Lediglich von den Art. 6 Abs. 1 und 1a (Risikoidentifizierung), Art. 7 Abs. 1 (Vorbeugung) und Art. 8 Abs. 1 (Beendigung) der Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten nicht abweichen.

9. Haftung:

Die Betroffenen Unternehmen sollen wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstöße gegen ihre Pflichten aus den Artikeln 7 und 8 zivilrechtlich haftbar sein (Art. 22). Dabei ist entscheidend, dass das verletzte Rechtsgut aus dem Annex im jeweiligen Mitgliedstaat eine drittschützende Wirkung hat. Ausgeschlossen soll die Haftung sein, wenn ein Schaden ausschließlich von einem Geschäftspartner innerhalb der Aktivitätenkette verursacht wurde. Für diesen Haftungsanspruch gilt eine Verjährung von mindestens fünf Jahren. Diese Verjährungsfrist beginnt dabei frühstens mit der Beendigung der Verletzung und der Kenntnis des Geschädigten von dem Haftungsanspruch. Zusätzlich ist auch eine Prozessstandschaft für Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen vorgesehen. Dabei sei jedoch die Autorisierung der tatsächlich geschädigten Person ausschlaggebend.

I. Bewertung:

Trotz richtiger Änderungen mit Verbesserungen im Vergleich zum ursprünglichen Trilogergebnis bleibt die Richtlinie hochproblematisch und birgt das große Risiko, die Wirtschaft bürokratisch zu überfordern. Sie schafft keinen Mehrwert für Menschenrechte und Umwelt. Wegen der schwelenden Rechtsunsicherheit droht ein Rückzug von europäischen Unternehmen aus gewissen Wertschöpfungsketten, die von außereuropäischen Konkurrenten mit geringeren Standards ausgefüllt werden könnten. Zu kritisieren ist auch der Prozess der Gesetzgebung: Fern des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens und des etablierten Trilogverfahrens hat die belgische Ratspräsidentschaft intransparente Festlegungen vorgenommen; eine inhaltliche Beteiligung des EP hat es dabei nicht gegeben.

II. Nächste Schritte:

Abschließend wird der Rat der EU den finalen Text formell annehmen. Danach erfolgt die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU und 20 Tage später das Inkrafttreten der Verordnung. Ab diesem Datum beginnen alle in der Richtlinie vorgesehenen Fristen zu laufen.

III. Synopse des BDI: CSDDD – LkSG

In der Anlage 1 finden Sie eine aktualisierte Fassung dieser BDI-Synopse. Insbesondere wurden folgende Änderungen vorgenommen:

  • Sprachliche Anpassung an den offiziellen deutschen Richtlinientex
  • Hinweis, dass nach dem 60. Erwägungsgrund der Richtlinie eine Trennung des Beschwerdeverfahrens der CSDDD vom Verfahren nach der Hinweisgeberrichtlinie vorgesehen werden sollte.
  • Klarstellung, dass eine „bevollmächtigte Person“ lediglich von Drittstaatenunternehmen zu ernennen ist, Art. 3 Abs. 1 lit. k i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. a ii) CSDDD
  • Klarstellung, dass in § 4 Abs. 4 LkSG die Einbeziehung von Interessenträgern (ähnlich zu Art. 13 CSDDD) vorgesehen ist
  • Detailliertere Darstellung der aus den internationalen Konventionen im Annex der Richtlinie folgenden Rechte und Verbote für CSDDD-Unternehmen

IV. Spitzenverbändebrief mit Forderung nach Aussetzung des LkSG

Die vier Spitzenverbände BDA, BDI, DIHK und ZDH haben nach dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens der EU-Lieferkettenrichtlinie ein gemeinsames Schreiben an den Bundesminister im Kanzleramt Wolfgang Schmidt (Anlage 2) gerichtet und zur Kenntnis an die Staatssekretäre von Bundesarbeitsministerium, Bundesjustizministerium und Bundeswirtschaftsministerium übermittelt.

Auch wenn zuletzt einzelne Verbesserungen am europäischen Richtlinientext erreicht werden konnten, geht die Richtlinie über das ambitionierte und bereits in der betrieblichen Umsetzung befindliche LkSG hinaus. Mit der Billigung der CSDDD ist es aus Sicht der Wirtschaft daher essenziell, dass die Bundesregierung zügig gleiche Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen im Binnenmarkt sicherstellt und das LkSG bis zum Beginn der Anwendungsfristen der CSDDD aussetzt.

Über die weiteren Entwicklungen werden wir Sie informieren.