Kritische Bewertung der „Arbeitsunfähigkeit per Videosprechstunde“

Wie der Arbeitgeberverband Osthessen mitteilt, können Vertragsärzte seit Oktober 2020 bei gesetzlich Versicherten, die ihnen oder der Arztpraxis aufgrund einer früheren Behandlung persönlich bekannt sind, auch mittels Videosprechstunde die Arbeitsunfähigkeit für eine Dauer von bis zu sieben Tagen feststellen.

Dazu betont der AGV-Geschäftsführer Manfred Baumann: „Durch Beschluss vom 19. November 2021 hat nun der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Ausweitung der Bezugsmöglichkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mittels Videosprechstunde beschlossen. Der G-BA wird von den vier großen Selbstverwaltungsorganisationen im Gesundheitssystem gebildet, also der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband).“ Mit der Aufgabe, den sogenannten „Leistungskatalog der Krankenkassen“ nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu konkretisieren, habe der Gesetzgeber den G-BA als höchstes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung betraut.

Aufgrund des Beschlusses könnten nun auch gesetzlich Versicherte per Videosprechstunde arbeitsunfähig geschrieben werden, die der Arztpraxis oder dem behandelnden Vertragsarzt nicht aufgrund einer früheren Behandlung persönlich bekannt sind. Dies sei allerdings grundsätzlich nur für einen Zeitraum von bis zu drei  Kalendertagen möglich. In beiden Fällen sei die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit mittels Videosprechstunde unter folgenden Voraussetzungen möglich:

– Die Erkrankung muss eine Untersuchung per Videosprechstunde zulassen.

– Sind Versicherte der Arztpraxis nicht persönlich bekannt, soll eine Arbeitsunfähigkeit nur für maximal 3 Kalendertage erstmalig festgestellt werden können.

– Bei unmittelbar persönlicher Bekanntheit kann eine erstmalige Feststellung für bis zu 7 Kalendertage erfolgen.

– Eine Folgekrankschreibung über eine Videosprechstunde soll nur ausgestellt werden, wenn die vorherige Krankschreibung aufgrund einer unmittelbaren persönlichen Untersuchung wegen derselben Krankheit festgestellt wurde.

– Sofern eine hinreichend sichere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde nicht möglich ist, muss der Vertragsarzt auf eine unmittelbare persönliche Untersuchung verweisen.

Manfred Baumann: „Ein Anspruch auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde besteht jedoch nach wie vor nicht.“ Zu weiteren Information kann der Beschlusstext vom 19. November 2021 sowie die tragenden Gründe nachgelesen werden. Der Beschluss ist am 18. Januar 2022 im Bundesanzeiger veröffentlicht worden. Und weiter erläutert der AGV-Geschäftsführer: „Unabhängig von dem getroffenen Beschluss zur Krankmeldung per Videosprechstunde gilt die Corona-Sonderregelung zur telefonischen Krankschreibung bis zum 31. März 2022. Danach kann die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei Versicherten mit Erkrankungen der oberen Atemwege, die keine schwere Symptomatik vorweisen, für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen auch nach telefonischer Anamnese und zwar im Wege der persönlichen ärztlichen Überzeugung vom Zustand der oder des Versicherten durch eingehende telefonische Befragung erfolgen. Das Fortdauern der Arbeitsunfähigkeit kann im Wege der telefonischen Anamnese einmalig für einen weiteren Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen festgestellt werden.“ Darüber hinaus bewertet der AGV-Rechtsanwalt den Status Quo: „Wir betrachten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ohne einen direkten persönlichen Kontakt weiterhin kritisch. Die nunmehr erweiterte Möglichkeit, auch ohne persönliche Bekanntheit des Versicherten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen zu können, ist aus unserer Sicht nicht notwendig und könnte die Gefahr erhöhen, dass die Hemmschwelle für Beschäftigte sinkt, falsche oder übertriebene Angaben über ihren Gesundheitszustand zu machen.“