Quarantänemaßnahmen und Urlaub – Anrechnung auf den Jahresurlaub

Vor dem Hintergrund, dass die Frage, ob  vom Arbeitgeber genehmigte Urlaubsanträge auf den Jahresurlaub anzurechnen sind, wenn die Beschäftigten unter Quarantäne gestellt werden, nach wie vor höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt ist, möchte der Arbeitgeberverband Osthessen e.V. einen Überblick über  die aktuell zu dieser Frage ergangene Rechtsprechung als weitere Entscheidungsgrundlage geben. Dazu sind nachfolgend die Beispiele aufgeführt:

I. Urteil des LAG Düsseldorf vom 15.10.2021

Das LAG Düsseldorf hatte mit Entscheidung vom 15.10.2021 eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 9 BUrlG im Falle einer angeordneten Quarantänemaßnahme abgelehnt (LAG Düsseldorf vom 15.10.2021 – 7 Sa 857/21, ArbR 2022, 78; ebenso ArbG Oberhausen vom 28.07.2021 – 3 Ca 321/21 im vorinstanzlichen Verfahren). Es begründete sein Urteil unter Bezug auf den Wortlaut der gesetzlichen Regelung in § 9 BUrlG wie folgt:

Zunächst unterscheide die Norm zwischen Erkrankung und der sich hieraus ergebenden Arbeitsunfähigkeit, eine Gleichsetzung der Begriffe erfolge nicht. Die sich aus der Erkrankung ergebende Arbeitsunfähigkeit müsse durch ein ärztliches Zeugnis nachgewiesen werden. Der in dem anhängigen Verfahren vorgelegte Bescheid des Gesundheitsamts weise keine Arbeitsunfähigkeit aus. Er stelle lediglich die Erkrankung an COVID-19 fest. Ob sich hieraus auch die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ergebe, hätte der ärztlichen Beurteilung bedurft. Die häusliche Quarantäne verhindere keine Kontaktaufnahme zu einem Arzt, da die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Zeitpunkt der Erkrankung der Klägerin auch nach telefonischer Anamnese hätte erfolgen können. Da diese unterblieben sei, komme die Regelung des § 9 BUrlG nicht zur Anwendung.

Zum anderen scheide auch eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG aus. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Sogenannte urlaubsstörende Ereignisse fielen nach Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts in die Risikosphäre des Arbeitnehmers. Von dieser grundsätzlichen Risikoverteilung mache der Gesetzgeber in §§ 9, 10 BUrlG nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmen.

Es bestehe zudem auch keine vergleichbare Interessenlage. Hierfür müsse die Beeinträchtigung durch die COVID-19-Erkrankung typischerweise mit der einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu vergleichen sein. Dies setze voraus, dass sich aus einer COVID-19-Infektion generell und nicht nur im konkreten Einzelfall eine Arbeitsunfähigkeit ergebe. Da aber auch symptomlose Verläufe möglich seien, führe die Infektion nicht automatisch zu einer Arbeitsunfähigkeit. An dieser Beurteilung ändere sich auch dann nichts, wenn die Arbeitsleistung zwingend das Erscheinen am Arbeitsplatz voraussetzt. Bei mildem Verlauf könne der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung erbringen. Ursache der Nichtarbeit sei demnach die Quarantäneanordnung, nicht aber die Erkrankung selbst. Dasselbe gelte, sofern der Arbeitgeber den erkrankten Arbeitnehmer von der Arbeit freistelle, um das Risiko der Infektion für die übrigen Arbeitnehmer zu minimieren. Da durchaus milde oder symptomfreie Verläufe auftreten, könne im Einzelfall auch der Erholungszweck des Urlaubs erreicht werden, so dass es auch unter diesem Gesichtspunkt an der notwendigen Vergleichbarkeit fehle. Darüber hinaus sei auch die Beeinträchtigung durch die Quarantäne mit der einer Arbeitsunfähigkeit nicht typischerweise zu vergleichen. Hiervon gehe bereits der Gesetzgeber aus. Außerdem schränke auch die Quarantäne den Erholungszweck des Urlaubs nicht in einem mit Arbeitsunfähigkeit vergleichbarem Umfang ein.

Wegen besonderer Bedeutung der Rechtsfrage, ob eine Erkrankung mit COVID-19 ohne bescheinigte Arbeitsunfähigkeit eine analoge Anwendung des § 9 BurlG zulässt, hatte das LAG Düsseldorf die Revision zugelassen. Bisher ist nicht bekannt, ob eine solche anhängig ist.

II. Urteil des LAG Köln vom 13.12.2021

Ebenso geht das LAG Köln im Fall einer angeordneten Quarantäne davon aus, dass der Tatbestand des § 9 BUrlG eng auszulegen und nicht auf andere Sachverhalte auszudehnen ist. Insbesondere sei die individuelle Nutzbarkeit des Urlaubs kein Kriterium für eine Nachgewährung. Nicht einmal eine Inhaftierung, die stärkste Einschränkung der Nutzbarkeit des Urlaubs, führt zur Nachgewährung von Urlaub (LAG Köln vom 13.12.2021 – 2 Sa 488/21, ArbuR 2022, 91 ebenso ArbG Bonn vom 07.07.2021 – 2 Ca 504/21, NZA-RR 2021, 518 in der Vorinstanz; beim BAG anhängig unter 9 AZR 63/22).

Weitere Instanzgerichte haben sich der Rechtsauffassung des LAG Düsseldorf und des LAG Köln angeschlossen (ArbG Halle vom 23.06.2021, 4 Ca 285/21, ArbR 2021, 450; ArbG Bremen-Bremerhaven vom 08.06.2021 – 6 Ca 6035/21; ArbG Neumünster vom 03.08.2021, 3 Ca 362b/21, NZA-RR 2021, 545).

III. Urteil des LAG Hamm vom 27.01.2022

Das LAG Hamm vertritt inzwischen die gegenteilige Auffassung (LAG Hamm vom 27.01.2022 – 5 Sa 1030/21, juris). Es begründet seinen Standpunkt damit, dass in Bezug auf das Zusammentreffen einer Urlaubsgewährung mit einer nachträglichen Anordnung einer Quarantäne eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG geboten sei, obgleich der Gesetzgeber das BUrlG mehrfach geändert habe, ohne eine solche Ergänzung des § 9 BUrlG oder eine ausdrückliche Regelung im Infektionsschutzgesetz vorzunehmen.

Das LAG Hamm weist zunächst zu Recht daraufhin, dass eine analoge Gesetzesanwendung voraussetzt, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die erfassten Fälle. Es müsse allerdings eine positiv festzustellende Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes vorliegen (BAG vom 05.06.2014, 6 AZN 267/14, NJW 2015, 272). Trotz des eindeutigen Wortlauts nimmt das LAG Hamm eine regelungsbedürftige Lücke an, obwohl dem Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Neuregelung des IfSG die Möglichkeit einer Ausnahmeregelung des § 9 BUrlG bekannt gewesen war. Es meint, dass im Fall einer angeordneten Quarantäne eine Vergleichbarkeit mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers vorliegt.

Gegen das Urteil hat das unterliegende Unternehmen Revision eingelegt (beim BAG anhängig unter 9 AZR 76/22).

Nach Auffassung des AGV-Geschäftsführers Manfred Baumann spreche dafür, dass eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 9 BUrlG in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG zur Übertragung der Rechtsfolge aus § 9 BUrlG auf andere den Urlaub störende Ereignisse ausscheide. „Die Rechtsprechung betont, dass die Vorschrift eng auszulegen ist und es sich um eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschrift handele. Die Voraussetzung einer typischen Vergleichbarkeit schließt jede Einzelfallbetrachtung aus. Eine solche ist bei einer COVID-19-Infektion allerdings stets notwendig, um festzustellen, ob der Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall tatsächlich arbeitsunfähig war oder nicht.“

Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) habe der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 BGB). Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse würden entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers fallen. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, finde eine Umverteilung des Risikos zugunsten des Arbeitnehmers statt. „Es ist zudem auch nicht neu, dass nicht jede Erkrankung automatisch eine Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Die konkret zu erbringende Tätigkeit muss aufgrund der Krankheit unmöglich sein. Wird nur eine Quarantäne angeordnet, ohne selbst an COVID-19 erkrankt zu sein, liegt keine zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit vor. Aber selbst dann, wenn beim Arbeitnehmer positiv COVID-19 festgestellt wird und aus diesem Grund eine Quarantäne verhängt wird, ist damit nicht automatisch eine Arbeitsunfähigkeit verbunden, denn COVID-19-Verläufe können nur geringe oder sogar keinerlei symptomatischen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit haben.“

Entsprechendes Fazit von Manfred Baumann: „Es bleibt zwar abzuwarten, wie das BAG die Rechtsfrage in den beiden anhängigen Revisionsverfahren entscheiden wird. Allerdings empfehlen wir bei entsprechenden Anfragen unter Hinweis auf die Urteile des LAG Köln und des LAG Düsseldorf sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum, den bereits genehmigten Urlaub nicht nachzugewähren und lehnen nach wie vor eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG ab.“